Hausarbeit 12.11.95 ---------- Gesellschaftliche Verhältnisse in Büchners Woyceck an Hand der Nebenpersonen ---------------------------------------------------------------------------- Geeignete Nebenpersonen: Hauptmann + Doktor Hauptmann: - Vertreter des alten, feudalen Systems, ängstigt sich vor Ver- änderungen, möchte am liebsten die Zeit anhalten. (Damals wurden Truppen in den Städten zusammengezogen um Aufständen gegen die herrschenden Ordnungen vorzubeugen, langweilige Tätigkeit) - vertreibt sich die Zeit damit, zu philosophieren und seine Untergebenen (im besonderen Woyceck) damit zu quälen Doktor: - Vertreter des neuen, marktwirtschaftlichen, leistungsorientierten Systems, steht unter Druck (wissenschaftliche Ergebnisse) und setzt unter Druck (Woyceck) - Drückt Woyceck einen unmenschlichen Vertrag auf: Woyceck verkauft sich ihm für geringen Lohn und Essen als Versuchskaninchen für seine Versuche - Führt kontinuierlich Versuche durch und scheint keinerlei moralischen Hemmungen zu kennen, wenn es um seine Theorien, Ergebnisse und vor allem Versuche geht (Menschenversuche!) Straße (S. 14): Aufeinandertreffen von Hauptmann und Doktor Hauptmann und Doktor reden aneinander vorbei, finden aber als gemeinsames Opfer Woyceck. => In beiden Systemen, im alten feudalen, wie im neuen marktwirtschaftlichen, ziehen immer die gleichen den Kürzeren: Die Unterschicht (Woyceck) Die grundlegende Hierarchie bleibt erhalten: Von oben nach unten wird die Unterdrückung weitergegeben (s. auch Szene: Tambourmajor verprügelt Woyceck) Ausformulierung: Als geeigneteste Nebenpersonen für die Repräsentation der gesellschaftlichen Verhältnisse in Büchners Woyceck zeigen sich der Hauptmann und der Doktor. An ihnen läßt sich direkt die Zeit des Umbruchs von einer Gesellschaftsform in die andere aufzeigen. Der Hauptmann tritt als Vertreter der alten, feudalen Ordnung auf, die sich zu tiefst vor Veränderungen ängstigt und am liebsten das Rad der Zeit zurück- drehen würde. Er hat Angst vor der gesellschaftlichen Funktionslosigkeit, in die er bereits hineingeraten ist. Seine im Übermaß vorhandene Zeit vertreibt er sich mit Philosophieren, und seine Untergebenen, insbesondere Woyceck, zu quälen. Woycecks Verhältnis zu ihm ist in typisch feudaler Weise geprägt: Er ist sein Untergebener, steht einige Stufen tiefer in der militärischen Rangfolge. Da der Hauptmann nicht den Anschein macht, als wäre er durch Leistung auf diese Position gekommen, scheint sich die Zuordnung von Rangfolgen im Militär durch Geburt ergeben zu haben. Und gerade darin zeigt sich die noch tief verwurzelte feudale Verständnis von sozialem Rang: Dieser ist durch Geburt gegeben und nicht durch Leistung. Der Hauptmann nützt dieses Abhängigkeitsverhältnis weidlich aus: Woyceck ist sehr stark von seinen Launen abhängig und kann sich kaum dagegen wehren. Der Doktor tritt als Vertreter der neuen, kapitalistischen und leistungs- orientierten Gesellschaftsform auf. Er steht unter starkem Leistungsdruck und hetzt von einem Experiment zum nächsten, versucht sich auf immer neuen Theorien. Im Gegensatz zum Hauptmann ist sein Leben auf die Zukunft ausgerichtet, auf die Hoffnung, immer weiter aufzusteigen. Bei seinem Streben handelt er rücksichts- und gewissenlos. Er führt bedenkenlos Menschenversuche im Namen der Wissenschaft durch und setzt Woyceck unter eine halbjährige(!) Erbsendiät. Kein Wunder, daß Woyceck dabei halb den Verstand verliert. Woycecks Verhältnis zu ihm ist eine vertragliche Abhängigkeit und daher kapitalistisch geprägt. Er stellt das einzige, was er besitzt, seinen Körper, dem Doktor für Versuche zur Verfügung und erhält dafür kargen Lohn und Essen. Man kann das durchaus als einen Vorwegname der Theorie von Marx verstehen: Es gibt eine Schicht in der Gesellschaft, die über keinerlei Produktionsmittel verfügt und das einzige was sie hat, ihre Arbeitskraft, den Besitzern von Produktionsmitteln zur Verfügung stellt. Und das in einer Zeit, in der die industrielle Revolution in Deutschland noch gar nicht angelaufen war. Beide, der Hauptmann und der Doktor, werden als Karikaturen dargestellt: Der Hauptmann als Karikatur des Bildungsbürgers ("Moral, das ist, wenn man moralisch ist."), der Doktor als Karikatur des modernen Wissenschaftlers, der eher einem Entertainer gleicht, der sein Publikum mit kleinen, schmutzigen Witzchen zum Lachen bringen will, als einem Forscher: Der Hof des Doktors (S. 12), "Meine Herren, ich bin auf dem Dach wie David, als er die Bathseba sah; aber ich sehe nichts als die Culs de Paris der Mädchenpension im Garten trocknen." Im Endeffekt redet auch er, wie der Hauptmann, häufig nur Unsinn daher: "...Verhältnis des Subjekts zum Objekt." (S. 12) Als die beiden in Szene 10 (S. 14) aufeinandertreffen, reden sie zwar an- einander vorbei und versuchen sich gegenseitig unterzukriegen, als gemeinsames Opfer finden sie jedoch immer noch Woyceck. Aus dieser Szene folgt die Entwicklung für Woyceck, als dem Vertreter der Unterschicht auf diesem gesellschaftlichen Hintergrund des Umbruchs. Er ist in jedem Fall der Verlierer. Die grundlegende Hierarchie bleibt erhalten: Von oben nach unten wird die Unterdrückung weitergegeben, bis sie schließlich auf ihm, dem Wehrlosen abgewälzt wird. (Besonders deutlich: Szene 15 S. 20, der Tambourmajor verprügelt ihn.)