Klausur 13.1.1 14.10.96 -------------- 1. Interpretation: Loriot: "Fernsehabend" Der Dialogtext "Fernsehabend" von Loriot zeigt auf satirische Art die Probleme eines fernsehabhängigen Ehepaars, dessen Fernseher ausgefallen ist, den Abend ohne diesen zu gestalten. Unter dieser Oberfläche kommen die Kommunikationsschwierigkeiten, die Passivität und die Eheprobleme der beiden zum Vorschein. Der Dialog wird durch die Pausen, die die beiden machen in Sinnabschnitte unterteilt. Diese Pausen sagen fast mehr über die Probleme der beiden aus, als die Unterhaltung im Vordergrund. Das Hauptproblem dieses Ehepaars ist gerade die Unfähigkeit, sich zu unterhalten. Ihre Ehe ist in Ritualen erstarrt. Jeden Abend setzen sie sich vor den Fernsehe, schauen unabhängig vom gesendeten Programm bis zur Tagesschau und gehen dann ins Bett. (Z.45) Ihre Konflikte tragen sie nicht aus, sondern umgehen sie, wie sie jede Unterhaltung abends durch das Fernsehen ersticken. An diesem geschilderten Abend jedoch, an dem die beiden gezwungen sind, sich zu "unterhalten", zeigt sich ihre ganze Unfähigkeit, miteinander zu reden. Der Text ist ironisch mit "Fernsehabend" überschrieben. Der Fernseher ist ausgefallen und das Ehepaar ist unfähig mit dieser Situation umzugehen. Auf der eigentlich absurden Situation, daß zwei Menschen vor einem kaputten Fernseher sitzen bleiben und diesen "gewohnheitsmäßig" anstarren, baut die Ironie des Textes auf. Die beiden machen sich zum Ende hin immer lächerlicher mit ihren verzweifelten Versuchen, gegen ihre Passivität anzukämpfen. Am Anfang des Dialogs übernimmt die Frau die Gesprächsführung. Sie stellt eine vollkommen widersinnige Frage. Obwohl, wie ihr Mann in Zeile 33 feststellt, nur irgendeine "Unterhaltungssendung" kommt, fragt sie, warum "grade heute" der Fernseher nicht funktioniert. Er antwortet mit einer Schuldzuweisung: Der Hersteller des Fernsehers sei an ihrem zerstörten Abend schuld. Nicht sie selbst sind Schuld an ihren Problemen, sondern andere. Auch der nächste Dialog wird nach einer Pause von ihr begonnen. Nun bekunden die beiden im direkten Widerspruchg zum Ebengesagten und ihrer Sitzhaltung, daß sie eigentlich beide gar nicht gerne fernsehen. Sie wollen damit ihre Unabhängigkeit von diesem "blöden Kasten" bekunden, machen siech damit jedoch nur lächerlich; vor dem Zuschauer oder Leser UND vor sich selbst. In gewisser Weise, sehen sie wirklich nicht gerne fern, es ist für sie mehr eine Ausweichen vor ihren eigentlichen Problemen. Die logische Folgerung daraus kommt nach einer weiteren Pause von ihm: Vor einem ausgefallenen Fernseher braucht man eigentlich nicht zu sitzen. Anstatt jedoch die Konsequenzen zu ziehen, bleiben sie in ihrer Passivität sitzen und verharren eine Weile. Die Hilflosigkeit, die hinter dem Verharren vor dem Fernseher steckt, entläd sich nun in einem geradezu kindischen Streit: Jeder wirft dem anderen vor, er/sie starre auf den Bildschirm. Dieser Streit findet seinen Höhepunkt darin, daß sie behauptet, sie würde "absichtlich" am Fernseher "vorbeisehen" und ihm Interesselosigkeit an ihr vorwirft. In ihrer Wut nennt sie ihr Eheproblem beim Namen. Er unterbricht sie und ab hier übernimmt er die Führung des Gesprächs. Seine Antwort "Jaa ... ja ..." (Z.24) zeigt mehrerlei: erstens ist es eine direkte Reaktion auf die Schuldzuweisung, zweitens zeigt sie, daß er diese Tirade schon kennt und gar nicht mehr hören möchte. Scheinbar ist es also nicht der erste, nicht ganz unbegründete, Angriff dieser Art. Die Lösung, die das Ehepaar gefunden hat, ist, wenn man sich schon nicht unterhalten oder sonst etwas miteinander tun kann, man zumindest gemeinsam auf den Fernseher starrt und damit allen Problemen aus dem Weg geht. Sie versucht den Konflikt nun zu lösen, indem sie die Symptome beseitigt sehen möchte: Das gemeinsame Starren auf den Bildschirm. Sie schlägt vor, "woanders" hinzusehen. In seiner Antowrt auf diesen Vorschlag wird die Absurdität der ganten Szene weiter gesteigert: Er weiß nicht, wohin man sonst, als auf den Fernsehschirm sehen kann. Er ist nicht in der Lage sich zu bewegen, noch seinen Blick in eine andere Richtung zu lenken. Sie schlägt vor, zur Seite oder gar nach hinten zu sehen. Sich gegenseitig anzusehen scheint für die beiden gar nicht mehr in Betracht zu kommen. Seine wütende Reaktion auf diesen Vorschlag zeigt, wie wenig die beiden sich noch zuhören. Ihr Vorschlag war das Angebot einer Läsung, er versteht jedoch das "Können" sofort als "Sollen", also einen Befehl. Er ist, wie sich später zeigt, dem Fernseher vollkommen hörig: Wenn die Spätnachrichten zu Ende sind, geht er inst Bett, kommen die Spätnachrichten nicht, oder kann er sie, wie jetzt, nicht sehen, steht er vor einem ernsten Problem. Er gibt das indirekt zu, indem er lautstark verkündet, er lasse sich von einem Fernsehgerät nichts vorschreiben. Denn genau das tut er: Er läßt sich von einem Fernseher den Tagesablauf diktieren. Nach einer Pause beginnt er, über die Qualität des Fernsehprogramms zu wettern und nennt sogar echte Alternativen zur Abendgestaltung ("Kartenspielen..."(Z.37)). Er zieht jedoch keine Konsequenzen aus seinen Vorschlägen, sondern setzt seine Rede, trotz den Einwänden seiner Frau, der Fernseher sei doch kaputt, noch die Krönung hinzu: Man könne sich schließlich auch einmal miteinander unterhalten. An dieser Stelle wird der Text extrem ironisch, denn daß die beiden dazu nicht in der Lage sind, haben sie ausreichend bewiesen. So ist ihr Vorschlag, doch lieber früh ins Bett zu gehen, zwar auch ein Ausweichmaneuver, aber es ist zumindest ein realistischer Vorschlag. Doch noch nicht einmal das können sie selbständig tun, denn er möchte nach den Spätnachrichten ins Bett gehen. Der Dialog schließt ironisch mit der energischen Feststellung des Mannes, er lasse sich von einem kaputten Fernseher nichts vorschreiben. Dies ist noch eine Überhöhung von dem Ausspruch aus Zeile 29: Er läßt sich in Wirklichkeit sogar von einem kaputten Gerät diktieren, was er zu tun hat. Die Geschichte läßt sich leicht weiterspinnen: Entweder schlafen sie beide vor dem kaputten Fernseher ein, oder aber sie gehen in die Küche und setzen sich vor die Waschmaschine. Loriot nimmt in dieser Geschichte s.g. "Couch-potatoes" gekonnt satirisch aufs Korn. Jedoch bleibt als bittere Erkenntnis, daß mansche Menschen, wenn auch nicht in diesem Maße, vor dem Fernseher regelrecht verdummen und ihren Tagesablauf fast vollkommen vom Fernsehprogramm diktieren lassen. ---------------------------------------------------------------------------- Kommentar: Gewohnt vielseitig, besonders in den kommentierenden Passagen gut gelungen. Zu wenig beleuchtet ist das "Substrat" der persänlichen Beziehung der beiden: Die Sehnsucht der Frau nach einem Bruchteil der Beachtung, die der Mann dem Fernseher schenkt, das schlechte (Schuld)gewissen des Mannes, das er in sinnlosen Angriffen zu kaschieren versucht. 14/14/14 14 NP